Themen
Architektur
Im Rahmen des Modellverfahrens Mäusebunkers soll die Diskussion um Denkmalwürdigkeit und Erhalt des ikonischen Gebäudes im internationalen Diskurs der Baukultur geführt werden.
Greening Futures
Die Vorstellung einer Grünen Zukunft für unsere Städte ist gleichzeitig eine konsequente Erweiterung dieser baukulturellen Zielsetzung des Um-, An- und Weiterbauens als kreative Auseinandersetzung mit dem Bestehenden.
Susanne Wartzeck : „Erhalte das Bestehende mit der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft!“
Im Rahmen der Überlegungen zu einer Weiternutzung des Mäusebunkers stellt die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ die Weichen für einen Diskurs um unsere architektonischen Ressourcen, und wie wir diese zukünftig noch effizienter nutzen sollten.
In zehn Strategien verantworten sich Architekt*innen und Urbanist*innen zu einem Sorgetragen für den Gebäudebestand, für gewachsene soziale Strukturen und für den Fortbestand der Erde.
Susanne Wartzeck, Präsidentin des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), erläutert den baukulturellen Imperativ der Bestandswahrung in ihrem Statement zu der Ausstellung – die derzeit als wichtige Botschaft durch Deutschland reist.
Erhalte das Bestehende! So lautet der neue Imperativ des Bauens angesichts der Klimakrise. Eindeutig ist dazu die Position des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten BDA: Priorität kommt dem Erhalt und dem Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss.
Blauäugig oder romantisierend? Zugegeben, die damit verbundenen Fragen sind vielfältig.
Welche Zukunftsbilder formulieren produktive und überzeugende Ideen, die Menschen motivieren, eingeschlagene Pfade im Denken und Handeln zu verlassen? Ist dabei der propagierte Verzicht ein erstes Anzeichen für eine Ökodiktatur? Eine ökologische Transformation unserer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise wird mental und gesellschaftlich nur dann gelingen, wenn sich die damit verbundenen Lebens- und Arbeitsweisen im Alltag der Menschen bewähren. Könnte ein reduzierter Ressourcenverbrauch durch das Mitnutzen, das Weiternutzen und das Reparieren als Alternative zur Wegwerfgesellschaft eine Akzeptanz finden?
Erforderlich ist dafür ein Umdenken im kleinen Maßstab des täglichen Konsums wie im großen Maßstab des Bauens. Bauen ist nach wie vor immens ressourcenintensiv. Das muss sich ändern. Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Das Bestehende zu erhalten und weiterzubauen, den kulturellen und ökologischen Wert des Gebäudebestands weiterzudenken, ist eine große Zukunftsoption, um die Zusammenhänge zwischen Gebäude und Stadt, zwischen individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen in eine ökologische Balance zu bringen.
Weder als Gesellschaft noch als Berufsstand können wir die betriebswirtschaftlich begründete Lebensdauer von dreißig Jahren für Gebäude akzeptieren. Zu wertvoll sind dafür die verbauten Ressourcen, zu wertvoll sind die mit den Häusern gewachsenen sozialen Strukturen und ihre erzählenden Geschichten. Bauen muss auf eine Langfristigkeit angelegt sein, durch konsequentes Weiterbauen gepflegt und an sich wandelnde Anforderungen angepasst werden.
Allzu leicht lässt sich der Abriss mit einem vermeintlichen Kostendruck, mit technischen Vorgaben oder der sich scheinbar selbstverstärkenden Auffassung, dass sich Reparieren generell nicht lohnt, begründen. Umso wichtiger ist es, den – nicht nur ökonomischen – Wert von Bestandsgebäuden zu erkennen, zu lesen und zu verstehen und darauf aufbauend gemeinsam über mögliche Konzepte für ein Um- und Weiterbauen nachzudenken.
Gerade das Handeln in ökologischer Vernunft eröffnet mit neuen Lebens-, Wohn- und Arbeitsformen eine große Chance für bestehende Bauten: Neue Wohnformen in alten Gebäuden, die Umnutzung leergefallener Kaufhäuser zu Orten des Wohnens und Arbeitens oder die Revitalisierung von Bauten im ländlichen Raum für neue Arbeitsmodelle sind Ansatzpunkte, um einen reduzierten Ressourcenverbrauch als kreatives Prinzip mit der Gemeinschaft auszugestalten und dafür Akzeptanz zu finden.
Einbezogen ist eine tiefgreifende Neuorientierung des gestalterischen und ökonomischen Selbstverständnisses von Architekt*innen. Nicht nur Tempo und Wucht des Klimawandels, sondern auch soziale Verwerfungen erfordern eine neue, eine nachdenklichere, eine sensiblere Haltung in Architektur und Urbanismus – eine Haltung des Sorgetragens gegenüber unserer Umwelt, gegenüber elementaren Bedürfnissen der Bewohner*innen, gegenüber gewachsenen Strukturen der Gemeinschaft und gegenüber den bestehenden Gebäuden.
Deutlich ist erkennbar, dass wir die Komfortzone des Gewohnten verlassen und über das Wohnen neu nachdenken müssen. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, der sich von technischen Standardvorgaben löst und einen Diskurs über städtebauliche und architektonische Qualitäten führt, die den künftigen Wohn- und Lebensentwürfen gerecht werden. Mut zu neuen Standards lautet dazu der Aufruf des BDA, der 2016 mit der Publikation und Ausstellung Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen vorgestellt wurde.
Die Ausstellung und Publikation „Sorge um den Bestand“ setzt dieses Nachdenken über neue Standards fort. Der Fokus liegt dabei auf einem achtsamen Erhalten, Reparieren und Weiterdenken des Gebäudebestands und der Frage, wie Architektur einen Beitrag zu einer ressourcenschonenden und dennoch bereichernden „Lebensweise“ leisten kann. Dieser neue Standard lautet: Erhalte das Bestehende! Und: Erhalte das Bestehende mit der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft!
Wie die Sorge um den Bestand sich in der Architektur und der Haltung von Architekt*innen konkretisieren kann, verdeutlichen die zehn Strategien der Ausstellung. Sie beschreiben eine perspektivische Sicht auf vielfältige Formen des Bestandes, öffnen einen Ausblick auf künftige Nutzungen und zeichnen ein sensibles Selbstverständnis der Architekt*innen, die auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Menschen setzen. Doch eine akzeptierte Sorge um den Bestand bedarf mehr als die Kreativität, den Idealismus und den Wagemut der beteiligten Akteur*innen, sondern auch eine flankierende Gesetzgebung und Preise, die die wahren ökologischen Kosten von Boden, Materialien und Energie widerspiegeln.
Susanne Wartzeck ist Architektin und seit 2019 Präsidentin des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten BDA. Nach einer Tischlerlehre und einem Innenarchitektur- und Möbeldesignstudium an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg gründete sie zusammen mit Jörg Sturm das Büro Sturm und Wartzeck in Dipperz. Es folgte ein Architekturstudium an der Gesamthochschule Kassel. Susanne Wartzeck war in Gestaltungsbeiräten verschiedener Städte und als Vorsitzende des BDA Hessen tätig.
Auszug, Erschienen in: „Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur“. Olaf Bahner / Matthias Böttger / Laura Holzberg (Hg.) für den Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, Jovis-Verlag, 2020
Publikation
Die Ausstellung „Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur“ des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) wurde von Olaf Bahner, Matthias Böttger und Laura Holzberg kuratiert. Sie wurde zunächst im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin gezeigt und tourt derzeit durch Deutschland.
Ausstellung
Ausstellungsgestaltung: Marius Busch – ON / OFF und Christian Göthner – lfm2.
Statement
Dirk E. Hebel
100 % Ressource. Bauten als Rohstofflager
Projektbeispiel
Paul Rudolph
Yale Art & Architecture Building – Nicht nur restaurieren, sondern weiterbauen
Projektbeispiel
I.M. Pei
NCAR – Schöner Forschen
Interview
Dr. Christoph Rauhut
Das Modellverfahren Mäusebunker: der Denkmalschutz als Protagonist
Der Diskurs folgt vier Themen