Architektur

Im Rahmen des Modellverfahrens Mäusebunkers soll die Diskussion um Denkmalwürdigkeit und Erhalt des ikonischen Gebäudes im internationalen Diskurs der Baukultur geführt werden. Interviews mit führenden Architekturhistoriker*innen und Denkmalexpert*innen führen in die  Besonderheiten der präzisen und funktional-technoiden Architektur des Mäusebunkers ein.

 

 

Gunnar Klack, der 2020 die Petition zur Rettung des Mäusebunkers mitgegründet hat, stellt das Hygieneinstitut und den Mäusebunker in ihrem städtebaulichen Kontext auf dem Gelände in Lichterfelde dar und verdeutlicht, wie stark Architektur und Stadtplanung zur Zeit der späten Nachkriegsmoderne dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichtet waren. Die beiden Architekturen aus der Zeit des Kalten Krieges können als besonderer Ausdruck der Freiheit und des Aufbruchs zum Experiment erachtet werden. Für Ludwig Heimbach, Kurator der aktuellen Ausstellung im Rahmen der Architekturbiennale Venedig 2021 - „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Experimental Setup BERLIN Architetture di G+M Hänska I Fehling + Gogel“, wirft die Zukunft des Mäusebunkers weitreichende Fragen über die gesellschaftliche Einstellung zum Erhalt als einen Akt der Bewahrung einer besonderen kulturellen Identität auf. Gleichwohl soll die eindeutige Experimentierfreudigkeit der Architekten auch nachfolgende Generationen zu ausdrucksstarken, ikonenhaften Architekturwerken ermutigen. Der Architekturhistoriker Felix Torkar, stellt anhand einiger Fallbeispiele fest, dass wir uns bereits in einem Zeitalter befinden, in dem Protoypen der intelligenten Um- und Nachnutzung von brutalistischen Bestandsarchitekturen den konkreten Beweis für die Kernansätze des nachhaltigen Bauens schaffen.

 

Der pragmatische Weg des „Retrofittings“ von sperrigen Bauten aus der Zeit der Nachkriegsmoderne ist ein weiteres Beispiel für bewährte Lösungen aus der Praxis. ERA Architects kann eine atemberaubende Energiebilanz bei scheinbar unveränderter Außenwirkung als Resultat vorweisen. Brutalismus wird von der internationalen Fachwelt fortwährend bewundert und dokumentiert. Oliver Elser beschreibt diese Entwicklung anhand der Plattform #SOSBrutalism, die nun eine Datenbank der Architekturen dieses Zeitalters verwaltet.

 

 

Für den Bund Deutscher Architekten ist der schonende Umgang mit Bestandsarchitekturen längst ein baukulturpolitischer Imperativ. In Kooperation mit dem BDA wird auf die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ aufmerksam gemacht, welche gerade mit dringenden Botschaften für die Fachwelt durch Deutschland reist. Ausgewählte Positionen deuten auf die Notwendigkeit eines nachhaltigen, klimagerechten Umgangs mit den enormen Ressourcen, die in Form von grauer Energie im Bestand gespeichert sind.

 

Wir danken unseren Kooperationspartner*innen BDA bda-bund.de, SOS Brutalism sosbrutalism.org, 20th Century Society c20society.org.uk und Ludwig Heimbach ludwig-heimbach.com.

 

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Co-Habitation

Gebäude und auch alle anderen baulichen Anlagen haben weitreichende Folgen für das gesamte Ökosystem, welche wir bereits heute weltweit erleben können. Für den Diskurs um den Mäusebunker als ehemals eines der größten Tierversuchslaboratorien Europas ist es von entscheidender Bedeutung, diese Dimension von Bestandsarchitektur und ihre zukünftige Umdeutung vor dem Hintergrund des Anthropozäns zu thematisieren.

 

Die Erhaltung des Bestands wäre ein erster wichtiger Schritt, da so die graue Energie, die in diesem Gebäude gespeichert ist, weiter genutzt werden würde. Jedoch denken Architekt*innen und Künstler*innen an dieser Stelle der Diskursplattform mit ihren Statements, Projekten und Referenzen schon weiter: Kann im und um den Mäusebunker eine andere Zukunft entworfen werden, in der Mensch, Tier und eine Vielfalt anderer Spezies nebeneinander oder sogar miteinander leben können? Wie sieht eine Architektur aus, die anhand der empathischen Ziele des Schutzes und der Pflege von Natur und des Nicht-Menschlichen umgenutzt bzw. neu bespielt wird? Der finnische Architekt Marco Casagrande setzt auf einen Weg der gestalteten Übernahme unserer innerstädtischen Architekturruinen durch die Natur – einen konsequenten „Re-wilding Prozess“. Nur so erzeugen wir in Zukunft ein grundlegendes Verständnis für die fragile Balance zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen.

 

Das Kultivieren urbaner Landwirtschaft in Innenräumen und im Untergrund unserer städtischen Infrastrukturen – das sog. Indoor- und Underground Farming ist international bereits ein anerkannter Wirtschaftszweig. Es bleibt zu überlegen, ob unter den vielfältigen Nutzungsszenarien, die für den Mäusebunker im Rahmen des Verfahrens erdacht und diskutiert werden, auch die Idee eines besonderen Schutzraums für Pflanzen und Pilzarten Platz findet.

 

 

Bei den Projekten, die an dieser Stelle hervorgehoben werden, mischt sich das Polemische mit dem Pragmatischen. In Zeiten, wo die Natur zunehmend durch die Erhitzung im städtischen Raum kollabiert, sollte Architektur von Beginn an auf den Erhalt und die Pflege der urbanen Wasserwege und der aquatischen Lebewesen sowie den Schutz der Vielfalt der städtischen Flora und Fauna ausgerichtet sein.

 

 

ARCH+ stellte bereits mit der Ausstellung „COHABITATION: Ein Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum“ umfassende Fragen zu einem empathischen Umgang mit der Tierwelt. Aus den wertvollen Dialogen, Positionen und Schlussfolgerungen dieses Projekts und der begleitenden Diskussionsveranstaltung entstehen in Kooperation mit dem Modellverfahren einige direkte Bezüge, welche den Diskurs um eine Umnutzung beziehungsweise Neudeutung des Mäusebunkers herausfordern und bereichern sollen. Architektonische Entwürfe, Statements und (um)gebaute Prototypen stellen die Weichen für ein radikales Umdenken im Umgang mit Bestandsarchitekturen und ihren urbanen Ökosystemen.

archplus.net

 

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Bild Startseite: Gonzalo Díaz Fornaro, CC BY-ND 2.0

Greening Futures

Im Zeitalter des Anthropozäns fordert uns eine grundlegende Tatsache heraus: unsere bestehende Architektur ist eine Verdichtung von „verarbeitetem Material, gebundener Energie und gelebter Kulturgeschichte“, wie es Katja Fischer und Jan Kampshoff formulieren. Dies setzt voraus, dass die Fachwelt der Planer*innen und Architekt*innen in einer grundlegend neuen Gestaltungssprache der Transformation denken muss.

 

Im Zeitalter des Anthropozäns fordert uns eine grundlegende Tatsache heraus: unsere bestehende Architektur ist eine Verdichtung von „verarbeitetem Material, gebundener Energie und gelebter Kulturgeschichte“, wie es Katja Fischer und Jan Kampshoff formulieren. Dies setzt voraus, dass die Fachwelt der Planer*innen und Architekt*innen in einer grundlegend neuen Gestaltungssprache der Transformation denken muss.

 

Die Vorstellung einer Grünen Zukunft für unsere Städte ist gleichzeitig eine konsequente Erweiterung dieser baukulturellen Zielsetzung des Um-, An- und Weiterbauens als kreative Auseinandersetzung mit dem Bestehenden.

 

Sollten städtische Bestandsarchitekturen so weit wie möglich einer wuchernden Natur überlassen und dadurch als Zeichen einer Zukunft überformt werden, in der die natürlichen Kreisläufe, von der sich die heutige Baubranche meilenweit entfernt hat, für alle wieder spürbar werden? 

 

Oder sollte man das „Greening“ unseres gebauten Umfelds viel pragmatischer und mit der Sichtweise der Ingenieur*innen und der Systemforscher*innen interpretieren und erlebbar machen?

 

Das (Weiter)Bauen im Bestand, mit der man ein ganzes Gebäudesystem – von Gebäudetechnik bis hin zum Erschließungssystem – von Beginn an als Experimentierfeld betrachtet, zeigt aus der Philosophie des Natural Building Lab der TU Berlin einen Weg auf, bei dem man die Bestandsoptimierung und gleichzeitig die erheblichen Potenziale einer Low-Tech Herangehensweise auf allen Ebenen einer Gebäudeinfrastruktur in der Umsetzung erprobt. Die Architektur des Bestands selbst dient als Lehrkörper am Ort. Zukunftsvisionen – so der Ingenieur und Leiter des Forschungsprojekts BiMoKA Marco Schmidt – sollten am Mäusebunker direkt erarbeitet werden.

 

Greening Futures – eine ressourcenschonende Zukunft des Umbauens – beginnt in den Köpfen, wenn man als Ausgangspunkt für jede Auseinandersetzung mit dem städtischen Raum und seiner Architektur von einer biobasierten Wirtschaft ausgeht.

 

Kühlungssysteme, Regenwassersysteme, sogar Nährstoffe für die Gebäudehülle, könnten eine neue, grüne Infrastruktur für diese Bestandsarchitektur erzeugen, welcher mit dem Schützenswerten an diesem Gebäude – die technisch perfekt konzipierte Zweckmaschine – verwoben wird: als ein sich regenerierendes grünes Kreislaufsystem.

 

Jan Wurm, Leiter des Forschungs- und Innovationsportfolios von Arup, sieht sogar den Prozess der Biomineralisation mithilfe von Bakterien als zukunftsweisenden Weg der Reparatur für die geschädigte Betonhülle des Mäusebunkers. Dieser Prozess bedeutet in der Folge für ihn eine ‘Biotransformation’, welche gleichzeitig eine völlig neue Wahrnehmung der geteilten – und ökologisch prekären – Lebensräume auf dem Gelände erzeugen könnte.

 

Vielleicht ist gerade diese vorstellbare Symbiose zweier Systeme und eine Gegenüberstellung von zwei radikal auseinandergehenden Zeitaltern – die 70er Jahre überformt mit den Forschungsansätzen des 21en Jahrhunderts – der denkbarste Weg, welcher die Transformation zu einem zirkulären Betriebssystem für den Mäusebunker greifbar und direkt erlebbar macht. Ein denkmalschützender Ansatz, der mit umweltverträglichen Innovationen gepaart ist. Eine Umwandlung der gesamten Infrastruktur dieses Gebäudes – klimaschonend und sichtbar für jeden Nutzer. 

 

Dem Mäusebunker würde eine neue symbolträchtige Rolle zukommen: Die Grüne Zukunft bewahrt die Gebäudesubstanz und schützt in Teilen das Innenleben dieser ehemaligen Versuchsmaschine. Gleichzeitig wird ein obsoletes, überteuertes und monofunktionales Betriebssystem mit den einfachsten und natürlichsten Mitteln repariert, regeneriert, belüftet und geöffnet.

 

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Reimagining

Das Modellverfahren Mäusebunker steht für die Gestaltung eines Prozesses – hin zu einer nutzungsorientierten Analyse und Umdeutung dieser sperrigen, ikonenhaften Architektur. Reimagining – das Re-imaginieren des Bestands erfordert in diesem diskursiven Rahmen ein fruchtbares konzeptionelles Zusammenspiel von Pragmatismus und Erfindungsreichtum.

 

Da es sich um eine schützenswerte Architektur handelt, braucht es eine offene Diskussion um eine mögliche Nachnutzung. Welche Nutzungen sind denkbar? Wie viel Flexibilität verlangen diese vom Gebäude? Wie viel Flexibilität verträgt das Gebäude, ohne seinen Charakter zu verlieren? Welche Bereiche im Inneren haben einen künstlerischen oder historischen Wert? Wie möchte man diesen erhalten oder transformieren? Die im Auftrag des Landesdenkmalamtes erstellten Bindungspläne wagen eine erste Antwort. Für jede Etage des Mäusebunkers deuten sie bereits auf eine Möglichkeit hin, die konkrete Verhandlungen und gestalterische Innovationen für den Bestand zulassen wird. Diese Haltung des Landesdenkmalamts bietet den Ausgangspunkt für eine Vielfalt von Positionen, die sich zu der Weiterentwicklung dieses Standorts äußern. 

Ziel ist es, genügend Fragen aufzuwerfen: Treibstoff zu erzeugen für die weitere Gestaltung der strategischen Werkstätten, die mit Partnern aus den Senatsverwaltungen und dem Bezirk, aus der Privatwirtschaft, der Baukultur und zivilgesellschaftlichen Akteuren im Bezirk in den nächsten Monaten realisiert werden.

 

Aus der städtebaulichen Perspektive stellt sich Jochen Brinkmann, Leiter des Geschäftsbereiches Bau der Charité, für das Gelände Süd – über 30.000 m2 am Teltowkanal in Steglitz-Zehlendorf, die den Mäusebunker sowie das ehemalige Hygieneinstitut von Fehling + Gogel umfassen – eine planerische und nutzungsorientierte Verknüpfung mit dem Campus Benjamin Franklin vor, welche derzeit im Zuge eines Masterplans mit dem Bezirk verhandelt wird und durch einen großmaßstäblichem Neubau erweitert werden soll. Das Modellverfahren kann die Ambitionen eines Potenzialgebiets - eines ‚Zukunftsorts Berlin Südwest’ – mit den bereits existierenden Raumbedarfen der Wissenschaftsinstitutionen im Berliner Südwesten konzeptionell zusammenführen.  Die Verdichtung und Aufwertung dieses derzeit schwer erschließbaren Geländes in einem erweiterten städtebaulichen Rahmen durch eine solche Wissenschaftslandschaft könnte die infrastrukturellen Grenzen überwinden und gleichzeitig einen Mehrwert für den Bezirk erzeugen.

 

Gleichzeitig stellt sich in Gesprächen mit Protagonisten aus der Kulturszene deutlicher heraus, dass eine hybride Nutzung als zeitgemäßer Ansatz eine innovative, spartenübergreifende Mischung für den Mäusebunker zulässt und gleichzeitig genügend Potenzial für eine neue Leitbildentwicklung aufzeigen kann. 

Raumbedarfe der Kulturlandschaft in Berlin, wo Lager- und Atelierflächen dringend benötigt werden, sind bereits geäußert – so Martin Schwegmann, Atelierbeauftragter des bbk Berlins. Führt man im Mäusebunker die Wissenschaft mit der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammen? Lassen sich diese unterschiedlichen Interessen am Bestand sinnvoll verknüpfen, sogar zu einem produktiven Miteinander zusammenführen?

 

Für Architekt*innen und Studierende bietet der Mäusebunker den Reiz einer brutalistischen Ikone, die man aus seinem bisherigen hermetischen, technoiden Dasein befreien muss. In Aarhus, Bordeaux, Zürich, Weimar und Karlsruhe entstanden über das letzte Jahr provokante Entwürfe, die diese ursprünglich monofunktional erbaute Architektur als Möglichkeitsraum - als Emissionshandelsbörse, Life Science Zentrum und noch viel mehr - aufbrechen und neu imaginieren. Diese Entwurfsansätze sind Zeichen unserer Zeit; einer Gegenwart, in der bestehende Ressourcen selbstverständlich erhalten und in ihrer Substanz erweitert werden müssen. Sie bilden mit den Argumentationen der Fachexpert*innen einen Nährboden für den Prozess des Verhandelns auf vielen Ebenen. Somit werden die Realitäten der Sanierungskosten für das Gebäude einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel gegenübergestellt.

 

Es sind vielfältige Bedarfsträger*innen, die den Mäusebunker re-imaginieren. Diese Protagonist*innen werden im Zuge der Entwicklung des Modellverfahrens durch weitere Positionen ergänzt, die diese Bestandsarchitektur ganzheitlich und zukunftsweisend weiterdenken und zu grundlegenden Entscheidungen im Interesse der Nachhaltigkeit anregen werden. 

 

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Bild Startseite: Anna-Maria Grimm, Masterthesis Architektur 2020, Karlsruher Institut für Technologie