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Architektur

Im Rahmen des Modell­verfahrens Mäusebunkers soll die Diskussion um Denkmal­würdigkeit und Erhalt des ikonischen Gebäudes im inter­nationalen Diskurs der Bau­kultur geführt werden.

 

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Rainer Disse : St. Elisabeth – Wohnen im Gotteshaus

Nachdem die Kirche St. Elisabeth in Freiburg ihren ursprünglichen Zweck verlor, stand der Abriss bereits fest. Im letzten Moment konnte der Verlust mit einem ungewöhnlichen Umbau zum Wohnhaus abgewendet werden.

 

Wie der Mäusebunker stand auch die Kirche St. Elisabeth in Freiburg bereits kurz vor dem Abriss. Viele Kirchenbauten der 1960er- und 1970er-Jahre verloren in den letzten Jahrzehnten ihre ursprüngliche Nutzung und sind heute stark gefährdet. Das von Rainer Disse entworfene, 1963–65 gebaute Gotteshaus wirkt streng und asketisch. Disse gliederte den minimalistischen, rechteckigen Grundriss nur minimal. Stattdessen belebte er die monumentale Sichtbetonkonstruktion mit plastischen Ausstülpungen und Einschnitten. Ähnlich strikt und zugleich abstrakt-skulptural ist der frei stehende Kirchturm. Künstlerisch ausgestaltet wurde der sakrale Raum durch den Bildhauer Franz Gutmann und den Glaskünstler Emil Wachter. 

Außenaufnahme einer Fassade des Wohnhauses St. Elisabeth in Freiburg, unten Betonsockel, oben orange Fensterrahmen
St. Elisabeth in Freiburg, 1963–65, Umbau 2015

Bild: Ekkehard Mantel (www.ekkehardmantel.de)

Nach der Zusammenlegung mit der Schwestergemeinde St. Konrad wurde die Kirche 2006 entweiht und gleichzeitig unter Denkmalschutz gestellt. Nachdem Umnutzungsversuche zu einer kulturellen Einrichtung und ein Studentenwettbewerb keine realisierbaren Ergebnisse gebracht hatten, plante die Stadt den Abriss. Im letzten Moment kaufte ein lokaler Bauunternehmer das Gebäude jedoch auf. In Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde, der Kirche und dem Sohn des Architekten schob er einen Umbau zum Wohnhaus an. Bis 2015 entstanden auf fünf Etagen 42 Wohnungen, die sich um ein zentrales Treppenhaus gruppieren. Für den Umbau zeichnet sich das „Architekturbüro an der Milchstrasse“ verantwortlich. Der Bestand wurde ausgehöhlt und um zwei Geschosse ergänzt. Zentrale Bestandteile wie das Eingangsportal, die Glasfenster, Teile der Empore und der Tabernakel wurden geschickt in das neue Raumprogramm integriert. Neue Fassadenteile kontrastieren mit orangenen Alu-Dibond-Paneelen, die an die Pop-Ästhetik der 1960er-Jahre angelehnt sind. Bei diesem Umbauprojekt wurde der Kirchturm zunächst ausgeklammert. Dieser wurde schließlich 2019 in einem zweiten Schritt von „Buron Architecture“ in eine fünfstöckige Loftwohnung umgebaut. Das neue Erscheinungsbild unterscheidet sich nun stark von Rainer Disses ursprünglichem Entwurf und geht doch respektvoll mit ihm um. Das Projekt zeigt, dass auch denkmalgeschützte brutalistische Bauwerke in Deutschland mithin stark umgestaltet werden können.

Außenaufnahme des Wohnhauses, der ehemaligen Kirche St. Elisabeth in Freiburg
St. Elisabeth in Freiburg, 1963–65, Umbau 2015

Bild: Ekkehard Mantel (www.ekkehardmantel.de)

Quellen/Fußnoten:

Meike Deck: Der Architekt und Kirchenbaumeister Rainer Disse (1928-2008): Reduktion und Konzentration im Zeitalter des Betonbrutalismus, Regensburg 2013, S. 135–144.

 

CHURCH chill, Freiburg: Aufbruch in Freiburg, Brillux, o.J.

 

Alexander Stumm: Wohnen im Kirchturm: Umnutzung in Freiburg von Buron Architecture, BauNetz, 8.6.2021    

Rainer Disse

(1928–2008) war ein deutscher Architekt. Nach einem Studium in Karlsruhe unter Egon Eiermann wurde er durch seine zahlreichen Kirchenbauten in den 1950er- bis 1970er-Jahren berühmt. Neben der Sakralarchitektur entwarf er zudem Schulen wie die Sebastian-Schule in Karlsdorf-Neuthard und Wohnungsbauten wie die Terrassenhäuser in Hornberg. 

Felix Torkar ist zusammen mit Gunnar Klack Gründer der Initiative und Petition zum Erhalt des Mäusebunkers. Der Architekturhistoriker studierte Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und war als kuratorischer Assistent am Deutschen Architekturmuseum für die Ausstellungen SOS Brutalismus und Making Heimat: Germany, Arrival sowie als Produktionsleiter für die Ausstellung Unbuilding Walls (Deutscher Pavillon, Architekturbiennale Venedig 2018) tätig. Gegenwärtig promoviert er als Stipendiat der Wüstenrot Stiftung an der FU Berlin zum Thema Neobrutalismus.