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Architektur
Im Rahmen des Modellverfahrens Mäusebunkers soll die Diskussion um Denkmalwürdigkeit und Erhalt des ikonischen Gebäudes im internationalen Diskurs der Baukultur geführt werden.
Ludwig Heimbach : Mäusebunker & Hygieneinstitut: Experimental Setup Berlin
In diesem kuratorischen Statement legt Ludwig Heimbach seine Motivation für das aktuelle Ausstellungsprojekt zu Mäusebunker und Hygieneinstitut von Fehling & Gogel dar und gibt einen Ausblick auf die Erweiterung der Inhalte, die bei der zweiten Station der Ausstellung während der diesjährigen Pavilion Days der Architekturbiennale in Venedig beleuchtet werden.
Im Fokus der Ausstellung "Mäusebunker & Hygieneinstitut: Experimental Setup Berlin. Architetture di G+M Hänska I Fehling + Gogel" stehen die Würdigung der baukünstlerischen Leistungen der Architekt*innen und ein Diskussionsprozess um den Erhalt oder Abbruch der beiden Gebäude. So werden Mäusebunker und Hygieneinstitut nicht nur als „solistisches Ensemble“ präsentiert, sondern auch die Handlungen aller Akteure als Versuchsanordnung mit offenem Ergebnis gezeigt.
Der Zeitpunkt der Ausstellung ist nicht zufällig gewählt: als die Abrisspläne für diese beiden Bauten mit hohem Denkmalwert bereits terminiert waren, wurde an anderer Stelle in Berlin das Stadtschloss als Schein-Denkmal fertiggestellt. Inzwischen steht das Hygieneinstitut unter Denkmalschutz, die Zukunft des Mäusebunkers ist jedoch weiterhin offen und wirft weitreichende Fragen auf:
Welche Bedeutung und welchen Wert hat die Architektur der Nachkriegsmoderne für die Gesellschaft?
Welcher architektonische Substanzerhalt ist notwendig, um unsere kulturelle Identität zu bewahren und fortzuschreiben?
Welche Rolle spielt Ressourcenökonomie in den Debatten um Erhalt, Weiterbau und Rückbau?
Welche zuweilen als Dysfunktionalität wahrgenommenen baulichen Widerstände sind hinsichtlich eines hohen künstlerischen Werts hinzunehmen?
Welche finanziellen Aufwendungen erscheinen der Gesellschaft hierfür zumutbar?
Zu den historischen Originalplänen und Bauunterlagen aus den Nachlässen der Architekt*innen werden in der Ausstellung Assoziationen zu anderen Kontexten hergestellt und kulturelle Implikationen aufgezeigt, die von Stealth- und Soft-Edge-Design bis hin zu Bunkerarchäologie, Landschaftlichkeit, einer Ästhetik des Unheimlichen und dem von Nelson Goodman beschriebenen „Paradox der Hässlichkeit“ führen.
Architekt*innen entwickeln fast immer „Utopien“ im Sinne einer positiven oder verbesserten Zukunft. Eine gebaute Dystopie, wie der Mäusebunker in Berlin, hat absoluten Seltenheitswert. Er wurde fertiggestellt, als der Begriff des Cyberpunk in der Science-Fiction Literatur aufkam. Es folgte ein ganzer Diskurs, der in Comics und Filmen zu einer spezifischen Ästhetik geformt wurde, die unsere heutige Wahrnehmung des Gebäudes bestimmt.
Es zeigt sich weiterhin, dass beide Bauten auch heute noch zur Kreativität motivieren: die künstlerischen Arbeiten der Ausstellung verdeutlichen, dass hier durch ein Bewahren nicht die Asche angebetet, sondern die Flamme weitergegeben wird an eine Generation von Künstler*innen, die die Architektur der Nachkriegsmoderne und ihre technisch-industriellen Anlagen als Teil ihrer kulturellen Identität wahrnehmen. Das große zukunftsorientierte Potenzial der Gebäude wird in vielen Werken der bildenden Kunst bis hin zu Theater- und Filmproduktionen deutlich.
In Venedig werden die bereits in Berlin ausgestellten künstlerischen Positionen von Julian Rosefeldt, Lothar Hempel, Farao und Kay Fingerle um aktuelle Arbeiten von Tracey Snelling, Alexis Dworsky und Andreas Fogarasi erweitert.
Außerdem sind in der anlässlich der Architekturbiennale Venedig gezeigten Ausstellung nun auch Arbeiten von Studierenden verschiedener Architekturhochschulen aus dem letzten Jahr zu finden, deren kreativer Impuls die weitere Debatte um den Mäusebunker beflügelt.
Das Gebäude wird hier einerseits als „Bad Guy“ begriffen, den man bezwingen und aufbrechen muss, andererseits wird versucht, sein dystopisches Potential weiter fortzuspinnen und auf die Spitze zu treiben. Die Arbeiten von Studierenden des KIT Karlsruhe, der ETH Zürich, der Bauhaus Universität Weimar, der TU Berlin, der Aarhus School of Architecture, der ENSAP Bordeaux und der Estonian Academy of Arts eröffnen neue Perspektiven auf die mögliche Zukunft des Gebäudes.
Die Ausstellung "Mäusebunker & Hygieneinstitut: Experimental Setup Berlin – Architetture di G+M Hänska I Fehling + Gogel" wurde vom Landesdenkmalamt Berlin und dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten gefördert und wird vom 27.08.–24.09.2021 im Rahmen der Architekturbiennale Venedig gezeigt.
Ludwig Heimbach
lebt als Architekt in Berlin und Köln. 2008 wurde er in den Deutschen Werkbund dwb, 2009 in den Bund Deutscher Architekten BDA und 2017 in die Architectural Design Association of Japan (ADAN) berufen. Neben seiner Bürotätigkeit lehrt er an verschiedenen Hochschulen: als Gastprofessor an der MSA | Münster School of Architecture und der Fachhochschule Mainz und als Dozent an der Peter Behrens School of Arts Düsseldorf, der Universität der Künste Berlin, der Kyoto City University of the Arts und der Eidgenössischen Technischen Hochschule / ETH Zürich. 2016 war er Resident der Villa Kamogawa des Goethe-Instituts in Kyoto. Seit 2018 ist er Mitglied des Kuratoriums der BDA Galerie Berlin.
Die Arbeiten seines Büros Ludwig Heimbach Architektur verstehen Architektur als „Instrument zur Beschleunigung und Entschleunigung zwischen Stadt und Bett“. Sie beschäftigen sich mit dem Thema der räumlichen Kommunikation, von Außenraum bis zum Mobiliar sowie den Schwellen und Filtern dazwischen. Derzeit steht das Gründungszentrum „B2“ in Cottbus vor der Fertigstellung.
Der Diskurs folgt vier Themen