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Co-Habitation

Entwürfe und Statements für eine Architektur des Zusammen­lebens von Mensch, Flora und Fauna. 

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Cord Riechelmann : Brutale Ehrlichkeit

Cord Riechelmann ist Verhaltensbiologe und Schriftsteller. Während seines Studiums hat er selbst Tiere für Versuche aus dem Mäusebunker abgeholt. Er plädiert dafür, in den Überlegungen zur Zukunft des Gebäudes dessen Geschichte als Ort der Verwertung tierischen Lebens nicht auszublenden.

Der Mäusebunker ist das Relikt einer schon zur Zeit seines Baus nicht mehr haltbaren Naturanschauung. Nämlich der Vorstellung, die fundamental war für alle liberalen Demokratien, die allein die menschliche Arbeit zur Quelle gesellschaftlichen Reichtums erhob. Nicht aber die Natur – diese galt als umsonst und unendlich. In den 1970er-Jahren, infolge einschneidender Erlebnisse wie der Ölkrise und mit der Herausbildung der Ökobewegungen schien diese Sichtweise immer fragwürdiger. 1981, zur Eröffnung des Mäusebunkers, war der Zeitgeist bereits vorausgeschritten, der Bau des Mäusebunkers somit ein verzögerter Akt.

Die Anlage war zudem der hoch entwickelte Ausdruck industrieller Produktion von Wissenschaft. Zu dieser gehört – daran hat sich auch heute wenig geändert – die industrielle Produktion von Versuchstieren. Ein Großteil der Tiere, die im Mäusebunker lebten, ist auch dort entstanden und wurde allein zum Zweck der Experimentation gezüchtet. Im Bunker fanden teils hoch-invasive Eingriffe an lebenden Tieren statt. Für diese bedeutete das Qual, unter Drogen gesetzt zu werden, den vorzeitigen Tod. Zumindest kommt in dem Bau eine brutale Ehrlichkeit zum Ausdruck: Das Gebäude strahlt aus, dass das, was darin passierte, nicht harmlos ist.

In der heutigen Debatte um den Erhalt des Mäusebunkers finden tierische Erfahrungen jedoch bisher kaum Eingang. Das ist eine Form von Ignoranz gegenüber Leid und Qual, die offensichtlich Alltag ist. Und nur weil es die Tierversuchslaboratorien nicht mehr in ihrer zentralisierten Form im Mäusebunker gibt, ist dennoch nichts von dem verschwunden, das darin passiert ist. Doch gerade weil wir unseren Grad der medizinischen Versorgung beim aktuellen Stand der Wissenschaft nicht gänzlich ohne Tierversuche aufrechterhalten könnten, dürfen wir diese Umstände und Dependenzen nicht ausblenden. Vielleicht gibt es das, was wir Natur nennen, ohne die Technologien, die mit der Tierverwertung zusammenhängen und aus ihr hervorgegangen sind, schon nicht mehr. Und umgekehrt gibt es überhaupt keine menschliche Technologie ohne Tiere, jedenfalls nicht seit der Sesshaftwerdung der Menschen.  

Ich bestreite aber nicht, dass wir in der Lage sind, Prozesse anders weiterzudenken. Und ich will auch keineswegs ein Plädoyer dafür halten, das Gebäude abzureißen. Dass jetzt Modelle entwickelt werden, die die Nutzung durch Tiere miteinschließen, ist mir trotz einer gewissen Romantisierung, die darin liegt, äußerst sympathisch. Doch das ändert nichts an der Gewaltgeschichte des Gebäudes, mit der wir einen Umgang finden müssen.

Cord Riechelmann im Gespräch mit Arno Brandlhuber, Dorothee Brantz und Christoph Rauhut, moderiert von Alexandra Nehmer und Anh-Linh Ngo während der Veranstaltung Architectures of Cohabitation II im Silent Green Kulturquartier, Berlin 26.06.2021, im Rahmen der Reihe Cohabitation Diskurs: Zoopolis Berlin, gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa

Cord Riechelmann

studierte Biologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die Geschichte biologischer Forschung. Außerdem arbeitete er als Kolumnist und Stadtnaturreporter für die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sein Hauptinteresse gilt den Lebensbedingungen von Natur in der Kultur städtischer Lebensräume.