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Reimagining

Das Modellverfahren Mäusebunker steht für die Gestaltung eines Prozesses  – hin zu einer nutzungs­orientierten Analyse und Um­deutung dieser sperrigen, ikonen­haften Architektur.

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Dr. Martin Schwegmann : „Ich würde mich freuen, wenn wir in Berlin zu einer Mentalität eines ‚Ja, wenn‘ kommen und nicht länger bei einer des ‚Nein, weil‘ verharren.“

Interview mit Panatom, September 2021

 

 

Wo stehen Sie gerade mit dem bbk Masterplan für Ateliers?

Masterplan Artist's-Studio 2020 hieß es damals und wurde ursprünglich von Florian Schmidt als Atelierbeauftragten 2016 herausgegeben. Jetzt haben wir das zweite Weißbuch Atelierförderung herausgegeben, wo wir konkrete Instrumente und Rahmenbedingungen aufzeigen, unter denen Atelierförderung in der Stadt besser und zielgerichteter funktionieren kann, was es auch muss. 

 

Wir hatten damals 2000 neue Ateliers bis 2020 gefordert und jetzt sind wir bei 282  Atliers per Saldo. Das klingt bei der Kulturverwaltung anders, wenn es da heißt, dass sie ist kurz davorstehen, die 2000 Räume zu knacken. Dort werden andere, hoffentlich Arbeitsräume, gezählt, nämlich auch Arbeitsräume anderer Sparten und gesicherte Standorte wie z.B. das Rockhaus. Die quantitative Forderung aus dem Masterplan wurde nämlich in anderer Form in den Koalitionsvertrag aufgenommen und aus den 2000 neuen Ateliers wurden Arbeitsräume aller Sparten und man ging dann von neuen, gesicherten und neugeschaffenen geförderten Räumen aus. Das ist natürlich eine ganz andere Definition, was schnell untergeht. Gleichwohl wurden große Anstrengungen in der Senatskulturverwaltung unternommen. Der Kulturhaushalt wurde nahezu verdoppelt. Und trotzdem haben wir eben nur so wenig neue Ateliers. Insgesamt sind es ein paar mehr, aber es sind viele auch weggebrochen. 

 

Um das ganze in den Kontext zu setzen: Wir haben mind. 8.500 bildende Künstler*innen in der Stadt. Zusammen mit den anderen Sparten der freien Kunstszene sind es mindestens 50.000 und wir haben jetzt insgesamt 1.300 geförderte Ateliers und Atelier-Wohnungen für Bildende Künstler*innen. Wir gehen davon aus, dass wir mindestens 4.000 geförderte Ateliers brauchen. Die Kulturverwaltung geht in ihrer Zielplanung von 4000 Arbeitsräumen für alle Kunstsparten aus, wobei wichtig ist zu beachten, dass Darstellende Künste und Tanz zum Beispiel ganz andre Raumbedarfe haben und daher das Zählen einzelner Räume hier wenig Sinn macht, was wir immer wieder anmerken. Für die anderen Kunstsparten müssen dringend jeweils die realen Bedarfe einzeln und zielgerichtet ermittelt werden. 

Wo haben Sie Erfolge erzielen können? 

Also Erfolge haben wir – pauschal gesagt – eigentlich immer dann erzielen können, wenn Künstler*innen es selber machen, wie am Haus der Statistik, wo ursprünglich ihre Initiative diesen Abriss verhindert hat, was dann zur Genossenschaft ZKB Berlin und Kooperationen mit den anderen Playern und natürlich auch der Politik auf Landesebene führte und die Nutzung relativ schnell ins Rollen brachte. Diese sogenannten Pioniernutzungen, die man dort sieht, die hätten, glaube ich, wenige für möglich gehalten. Und da bin ich wirklich froh, dass das jetzt so schnell schon passieren konnte und das Haus nicht weiter im Dornröschenschlaf liegt bis es renoviert ist. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Künstler*innen schon machen werden. Es kann auch nicht sein, dass ich als Künstler*in erst mal Immobilienentwickler*in werden muss, um einen Raum langfristig in der Stadt zu bekommen. Es braucht geförderte Ateliers aber eben auch, und da gibt es fast keine Instrumente bisher, Hilfe zur Selbsthilfe um z.B. bestehende Standorte zu schützen. Darüberhinaus haben wir Erfolge ansonsten insofern, als dass wir es schaffen konnten, dass im letzten Haushalt der Etat für die Atelieranmietung noch einmal wesentlich erhöht wurde, der Aufwuchs wurde etwa verdoppelt. Wir sind immer im engen Austausch mit der Senatskulturverwaltung und den dort neu entstehenden Institutionen, zum Beispiel der Kulturraum Berlin GmbH, die das neue Bündnis Kultur Räume Berlin koordinieren. Da sind wir noch in einer Phase, wo sich noch zeigen muss, inwiefern das jetzt erfolgreich werden kann. Und das heißt, ich bin immer noch der Feuerwehrmann in der brennenden Stadt mit einen Schlauch in der Hand und versuche, das zu ändern, indem wir demnächst vielleicht einen Ratgeber schreiben für Künstler*innen, die von Verdrängung bedroht sind, um das ganze Thema auch in dezentrale Hände zu legen. Ich glaube, das ist die Antwort, die es braucht, die ganzen gemeinwohlorientierten Raum-Akteur*innen in der Stadt zu befähigen, besser Raum sichern und schaffen zu können. In dem Zusammenhang habe ich Anfang 2019 als Teil der Initiative StadtNeudenken mit Unterstützung von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen eine Werkstatt zum Thema Konzeptverfahren ko-konzipiert, wo wir uns in einem großen Prozess lange Gedanken gemacht haben, wie Konzeptverfahren in der Stadt besser durchgeführt werden können. Da sind wir immer noch dran, das zu verbessern, was dringend nottut, weil das Instrument gerade wieder ordentlich ins Stocken gerät. Hier muss die Öffentliche Hand beherzt anpacken und sich nicht auf Formalien berufen.  

AllesAndersPlatz
AllesAndersPlatz

Bild: Making Futures

Haus der Statistik, STUDIOLO
Haus der Statistik, STUDIOLO. Das STUDIOLO ist ein Veranstaltungsort im Freien. Hier finden, wenn das Wetter es erlaubt, Vorträge und Präsentationen sowie andere Formate der MITKUNSTZENTRALE statt

Bild: Kim Gundlach

Haus der Statistik, Eröffnung der Werkstatt
Haus der Statistik, Eröffnung der Werkstatt

Bild: Andreas Süß

Wo finden Sie die Räume? Das Haus der Statistik fast ein bisschen piratenmäßig geentert worden. Das waren zumindest die Anfänge und es wäre zu hoffen, dass Prozesse sich in Zukunft anders etablieren können. 

Das zeichnet sich nicht ab. Auch das ICC steht leer und da wird bis auf weiteres der Eintritt verwehrt, weil es angeblich zu viel Klebstoffe gibt. Den Geflüchteten, die da drei Jahre drin waren, war dies offensichtlich zuzumuten. Es gibt dann noch den Tempelhofer Flughafen, die ewige Bauruine, wo auch irgendwie nichts möglich ist. Und so geht es eigentlich immer weiter. Ohne Entern ist es offensichtlich schwierig in der Stadt. Die geförderten Ateliers des Atelieranmiet-Programms beziehungsweise Arbeitsraum-Programms sind mindestens zur Hälfte in privater Hand. Das heißt also, auch ohne den privaten Sektor lässt sich nicht komplett das Raumproblem lösen, diese Ansicht halte ich für realitätsfern. Und gerade hier muss man eben schauen, inwiefern man Mischformen findet und fördert, wo gemeinwohlorientierte Player wie zum Beispiel Genossenschaften langfristig Raum schaffen können. Aber es braucht Flächen, Liegenschaften, die das Land zur Verfügung stellt. Und das muss beides mitgedacht werden, zusammen mit den Förderprogrammen. Da hakt es aus meiner Sicht noch.  

Was wäre da notwendig? Gibt es konkrete Schritte, die man da einleiten könnte, dass es besser funktioniert? 

Die Konzeptverfahren, müssen sehr viel zugänglicher sein, leistbarer und zweistufig geschehen, damit die Eingangsschwelle niedriger ist. Es müsste ein offenes Verfahren geben, wo man noch einmal nachjustieren kann. Gerade konnten an zwei Standorten etwa 30 Bewerber*innen nicht den Kriterien entsprechen, sodass das ganze Verfahren eingestellt wurde. Das kann es nicht sein. Darüber hinaus gibt es Instrumente, die müssen extrem nachgeschärft werden. Es gibt zum Beispiel ein Bürgschaftsprogramm von der Senatskulturverwaltung, was noch nie in Anspruch genommen wurde, weil es in der Grundkonstruktion gar nicht anwendbar ist – hören wir jetzt von der Atelierhaus-Genossenschaft-Berlin, die versucht hat, das anzuwenden. Da muss man zusammen mit dem Senat für Finanzen dringend ran, um das anzupassen. Die Senatsverwaltung für Finanzen ist ein sehr wichtiger Player in der Stadt wenn es um Stadtentwicklung geht und ist für mich fast nicht sichtbar. Das muss sich ändern. Ansonsten braucht es eigentlich eine Genossenschaftsanteilsförderung auch für Gewerbe-Genossenschaften analog zum Wohnungsbau, damit überhaupt irgendein*e Künstler*in in dieser Stadt sich diese Genossenschaftsanteile leisten kann.   

Wir sprechen nun im Kontext des Mäusebunkers in Steglitz-Zehlendorf. Welche Bedarfe sehen Sie da?

Steglitz-Zehlendorf ist nicht das klassische Künstler-Quartier. Nur etwa 13 Prozent der Künstler*innen leben außerhalb des Stadtrings. Und Steglitz-Zehlendorf war auch schon im geteilten Berlin eher ein bürgerlicher Standort, der oft ein bisschen teurer war. Gleichwohl verändern sich auch Bedarfe und Lichterfelde zum Beispiel kann auch ein spannender Standort werden, der eine gewisse räumliche und infrastrukturelle Qualität aufweist. Die Kulturproduktionsdichte und institutionelle Dichte, also von Ausstellungsorten und Galerien, ist in Steglitz-Zehlendorf aber eher dünn.  

Man könnte jetzt auch genau umgedreht sagen: Genau deswegen müsste man dort eine lebendige und heterogene Mischung fördern. 

Ja, es gibt zum Beispiel ein Modell, was der schon angesprochene Masterplan 2020 aufwirft, nämlich den sogenannten KunstCampus Außenstadt. Der war für Standorte, die dezentraler liegen eine Idee, um die Vernetzung von Institutionen und Akteur*innen zu befördern. Dort kann man campusmäßig denken und eine Ansiedlung en bloc machen, damit eine gewisse kritische Masse entsteht, die dann wiederum mehr Ausstrahlung- und Anziehungskraft entwickelt. So etwas ist hier denkbar und sinnvoll. Gerade der Standort um den Mäusebunker mit den verschiedenen Gebäuden in der Nachbarschaft, bietet definitiv die Möglichkeit unterschiedliche Dinge der KunstCampus-Idee unterzubringen.  

Denken Sie, es wäre möglich, im Mäusebunker selbst, geförderte Ateliers einzurichten, oder ist das Gebäude so kompliziert, dass man davon ausgehen muss, dass es einfach zu hochpreisig ist?

Grundsätzlich denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass Gebäude aus dieser Epoche nicht reihenweise unter den Hammer geraten. Ob im Mäusebunker jetzt geförderte Ateliers untergebracht werden können, kann ich schwer sagen. Dazu weiß ich zu wenig. Man sollte da in verschiedene Richtungen denken und relativ pragmatisch rangehen. Geförderte Ateliers für Künstler*innen müssen gewisse Anforderungen erfüllen. Die sind nicht groß, aber sie brauchen die Raumhöhe von mindestens 3 Metern, Belichtung und Zugänglichkeit.

 

Eine Idee wäre ein zentrales Lager für Kunstwerke, was allerdings derzeit nicht gefördert wird. Gleichzeitig gibt es ein riesen Bedarf an Lagerflächen für Künstler*innen, die verzweifelt danach suchen. Das könnte das Land dringend angehen, weil auch Lagerfläche sehr teuer ist. 

 

Ich bin auch Teil der Arbeitsgemeinschaft Tempelhof Flughafen von der Koalition der Freien Szene, wo wir spartenübergreifend versuchen, uns konstruktiv einzubringen und andere Wege zu gehen. Und ich denke, dass man sich dort gerade spartenübergreifend einige Nutzungen vorstellen kann, die relativ niedrigschwellig in Bezug auf die Bauinstandsetzung und die Anforderungen sind. Das muss man im Einzelnen prüfen und schauen, wie man das jenseits der üblichen Wege bespielen kann. In einem Workshop sagte unlängst ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Mit unserem Betriebssystem dauert das zehn Jahre, bis wir hier irgendwas machen.“ Also muss man vielleicht ein anderes Betriebssystem etablieren. Wie kann man auch vielleicht im Sinne von den angesprochenen Pioniersnutzungen dort auch eine Bespielung mit anderen Auflagen als üblich etablieren? Soetwas wie Brandschutz und Gefahrenstoffe muss man natürlich realistisch einschätzen.   

Flughafen Tempelhof, leerstehende Halle
Flughafen Tempelhof, leerstehende Räume

Bild: K. H. Reichert (CC BY 2.0)

Haben Sie für das Modellverfahren Empfehlungen in der Findung von Nutzermodellen?

Ja, ich glaube, es ist wichtig, dass man potenzielle Nutzer*innen früh anspricht. Dass man sich nicht erst ein Verfahren überlegt und sagt: So, jetzt bewerbt euch mal und dann bewirbt sich jemand und dann sagt man, es gibt gar keinen Bedarf. Man muss aufsuchend Trägerschaften entwickeln und gerade wenn man jetzt hier die Chance hat, in so einem Modellverfahren, so einen Prozess – der jetzt schon moderiert und angeschoben ist – zu sein, wäre es sehr sinnvoll, möglichst früh potenzielle Nutzer*innen mitzudenken, die vielleicht gar nicht direkt den Mäusebunker nutzen, die aber vielleicht parallele Erfahrung haben – wie die schon genannten Projekte – aber auch Genossenschaften, die in gewissen Bereichen tätig sind und auch andere natürlich. Da will ich den Fokus gar nicht zu klein machen. Im Gegenteil man sollte Nutzer*innen- oder Träger*innen-Gespräche führen – also nicht nur mit Künstler*innen, die einzelne Räume nutzen. Und dann muss man gleich einen groben Fahrplan machen, wo es hingehen soll. Es sollte einen transparenten Prozess geben, auf den sich alle bewerben können. Da muss man ein bisschen Expectation-Management machen, dass die Leute wissen, worauf sie sich einlassen.   

Es gibt in Bezug auf den Mäusebunker bereits verschiedene Akteure. Natürlich aus der Tradition des Forschungsinstituts den wissenschaftlichen Kontext, dann gibt es die Diskurse aus der Architektur und Kultur ebenso wie die Debatten zu den polarisierenden Inhalten, die das ehemalige Laboratorium mit sich bringt. Wenn die Leute laut denken, fällt immer wieder das Stickwort der hybriden Nutzung. Haben Sie spontan eine Idee oder ein Beispiel für gelungene hybride Nutzung mit Künstler*innen? 

Es gibt in New York eine Art Stipendium für Künstler*innen, die in die Verwaltung gehen können, um dort Prozesse zu inspirieren und zu verändern. Also könnte es ja sowas auch geben, um den Wissenstransfer zwischen verschiedenen Disziplinen zu befördern. Was grundsätzlich natürlich noch spannend wäre, wenn man in die Richtung denkt, wären Residencies. Da gibt es ja viele Akteur*innen in der Stadt die da Erfahrungen haben. 

 

Die Idee der dezentralen Akteursaktivierung ist mir grundsätzlich wichtig. Natürlich ist das Land ein wichtiger Player. Wir sehen eben nur, dass wenn eine BIM, eine landeseigene Gesellschaft etwas entwickelt, ist es langfristig und teuer. Denn sie müssen einem gewissen Prozedere folgen und gewisse Baustandards einhalten und so weiter. Auch gibt es sehr unterschiedliche Meinungen von Expert*innen zu dem was geht und was nicht. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in Berlin zu einer Mentalität eines „Ja, wenn“ kommen und nicht länger bei einer des „Nein, weil“ verharren¹.

 

¹Charles Landry, Creative Bureaucracy

 

 

Dr. Martin Schwegmann

Dr. Martin Schwegmann ist Architekt und Stadtforscher, Experte für Stadtentwicklung, Aktivist, Autor und Moderator von kooperativen urbanen Prozessen. Seit April 2017 ist er Atelierbeauftragter für Berlin im Kulturwerk des bbk berlin.

 

Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der nachhaltigen und kooperativen Stadtentwicklung und Gestaltung, Bürgerbeteiligung, Transsektoralen Kooperationen (Politik, Kultur, Wirtschaft, Zivilgesellschaft), transparenten Liegenschaftspolitik, Atelierförderung und Urban Commons.