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Architektur

Im Rahmen des Modell­verfahrens Mäusebunkers soll die Diskussion um Denkmal­würdigkeit und Erhalt des ikonischen Gebäudes im inter­nationalen Diskurs der Bau­kultur geführt werden.

 

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Greening Futures

Die Vorstellung einer Grünen Zukunft für unsere Städte ist gleichzeitig eine konsequente Erweiterung dieser baukulturellen Zielsetzung des Um-, An- und Weiterbauens als kreative Auseinandersetzung mit dem Bestehenden.

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Prof. Jan Wurm und Ludwig Heimbach : Die Fortschreibung des Denkmals

Interview mit Francesca Ferguson, 2023

 

Jan Wurm, Ingenieur, Professor an der KU Leuwen und Innovationsleiter bei ARUP, erforscht biobasierte Prozesse und Materialien für das Bauwesen. Er treibt den kollaborativen Ansatz von ARUP innerhalb der EU und auf internationaler Ebene voran. Ludwig Heimbach, Architekt und Kurator, begleitete das gesamte Modellverfahren Mäusebunker nach der Petition für den Erhalt des Gebäudes als denkmalgeschütztes Objekt. Er hat das Gebäude mit seinen hochinnovativen baulichen und materiellen Qualitäten international in die Diskussion um adaptiven Re-Use eingebracht.

In einem gemeinsamen Forschungsvorschlag sehen die beiden Befürworter des Mäusebunkers das Gebäude als Experimentierfeld - als lebendiges Labor – und die Materialeigenschaften des Mäusebunkers als Chance für die Erforschung der mikrobakteriellen Aktivierung der Beton-brut-Fassade. Dies würde es ermöglichen, dieses architektonische Erbe an die heutige Zeit anzupassen: als Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels und als potenziell kühlende, atmungsaktive Struktur.

Im Gespräch skizzieren sie die Rolle einer solchen Forschung bei der Transformation des Baudenkmals als Manifestation dessen, was die Architekten Gerd und Magdalena Hänska bereits beabsichtigt haben - nämlich dem Gebäude neues Leben einzuhauchen.

Das Bild zeigt den grüner werdenden Mäusebunker.
vers un béton vert: Mäusebunker 2023 -> 2050, ludwig heimbach architektur

Bild: ludwig heimbach architektur

Beginnen wir mit der Frage, aus welcher Haltung der Mäusebunker erforscht werden sollte – in Bezug auf die Materialität; auf den „Beton Brut“ der Hülle.

Wurm: Mich fasziniert die unverkleidete Verwendung des Materials in dieser Umfänglichkeit und diesem Maßstab, und das Ineinandergreifen von Tragwerk und Hülle der monolithischen Form. Dadurch hat dieses Objekt eine abstrakte Qualität, die über bauliche Typologien hinausgeht und als Berg oder Hügel eher einen topografischen, landschaftlichen Charakter besitzt. Diese Klarheit der Materialität erzeugt eine Art Hybrid zwischen Mensch- und Naturgemachten. Das war für mich der Ansatzpunkt, sich das Gebäude als Substrat für eine Art von Besiedlung vorzustellen, wie wir sie in der Natur finden.

Heimbach: Wir beschäftigen uns heute auch deshalb stärker mit dem sogenannten Brutalismus, da die Bauten dieser Ära nun ein Alter erreicht haben, in dem größere Sanierungen notwendig werden und aufgrund der damit verbundenen Kosten dann stets die Frage nach dem Erhalt der Gebäude kommt. Der roh belassene Beton – der Beton Brut – hat eine konstruktive Ehrlichkeit der Architekturhaltung unterstützt und es ist auch historisch zu sehen, wie aus dem Material Beton, aus der Haut und Knochen der Architektur, wie sie Mies van der Rohe propagierte, nach dem Krieg verstärkt ein einhüllendes Material wird. Vielleicht stammt diese Tendenz auch aus der Erfahrung des zweiten Weltkrieges; aus dem Bunkerbau.

 

Was ist eigentlich ‚Bio-Beton’? Es erfordert ja wirklich eine große Wende in den Köpfen der Gesellschaft, dass man einen brutalistischen Bestand, wie diesen, als grün betrachten kann oder betrachten soll.

Heimbach: In der Recherche stellte sich heraus, dass zum einen Architekten des Brutalismus, wie Denys Lasdun, ihre Sichtbetonbauten selbst als „grün“ und als künstliche Landschaft imaginiert haben. Denys Lasdun erklärte zum Beispiel zum National Theatre in London, dass er sich eigentlich vorstellt, dass seine Architektur sich als grüner Felsen in der Stadt London weiterentwickelt. Eine Idee, die bei der 2015 abgeschlossenen Sanierung des Gebäudes leider nicht aufgegriffen wurde.

Beim Mäusebunker ist das Spezielle, dass die Hänskas ganz bewusst das getan haben, was man eigentlich baukonstruktiv nicht tun soll, nämlich den Sichtbeton als wasserführende Schicht einzusetzen. Es muss den Hänskas damals schon klar gewesen sein, dass dieses Gebäude bewachsen sein wird oder sich Vergrauungen und Vermoosungen der Fassade ergeben werden. Jedenfalls haben sie Ideen, die Außenhaut in Metall oder Kunststoff auszuführen, verworfen.

Wurm: Das South Bank Centre und insbesondere die Hayward Gallery in London sind zugänglichere Beispiele aus der gleichen Zeit. Wenn wir schauen, wie das Gebäude strukturiert ist, wie die Erschließung außen um das Gebäude herumläuft, wie Wände und Dächer in einander übergehen, ist es ein sehr weiches, offenes Gebäude, wenngleich aus einem harten Material. Man hat das Gefühl man versinkt in diesen differenzierten Strukturen. Über die Geometrie verzahnt es sich mit der Umgebung. Die verschiedenen Orientierungen und Ausformungen der Flächen sind stärker im Austausch mit der Witterung, weil sie periodisch befeuchtet und verschattet sind; weil sie zum Teil windabgeneigt sind, so dass das Gebäude diese Zeitlichkeit im Dialog mit Wetter, Klima und dem umgebenden urbanen Ökosystem verstärkt.

Bio-Beton ist eher ein umgangssprachlicher Begriff. Auf der einen Seite lassen sich in der Zusammensetzung des Betons Pflanzenaschen und puzzolanische Stoffe aus dem biologischen Kreislauf integrieren, um den Zementanteil zu reduzieren. Der Begriff Bio-Beton kann auch bedeuten, dass die Matrix durch kalkausscheidende Mikroorgansimen in dem Gemisch gebildet wird. Bio-Beton mit von Mikroorganismen produzierten Bindemittel existiert bereits – beispielsweise das Unternehmen Biomason produziert entsprechende Bauprodukte.

Die dritte Definition, die in unserem Kontext des Mäusebunker relevant ist, ist ein Beton der sich als Substrat für den biologischen oder natürlichen Bewuchs eignet. Im wissenschaftlichen Kontext bezeichnen wir dies als einen biorezeptiven Beton: ein Beton, der Affinität hat, besiedelt zu werden, ohne dass er seine strukturellen Eigenschaften verliert. Es gibt sogar Pflanzen die den Schutz des Betons erhöhen.

Heimbach: Über die Zeit bildet sich an der der Feuchtigkeit und dem Kohlendioxid der Luft ausgesetzten Außenschicht des Betons Kalkstein; diesen Vorgang nennt man Karbonatisierung, die übrigens auch etwas CO2 bindet. Beim Mäusebunker ist eine besonders hochwertige Betonmischung zur Anwendung gekommen, bei der die Karbonatisierung bei weniger als ein Zentimeter mehr oder weniger zum Stillstand kommt und damit die tiefer liegende Bewehrung nicht angegriffen wird.

Wenn es also Pflanzen gibt, die den Beton schützen, dann kann man sich vorstellen, dass neben dem Lichtspiel der skulpturalen Qualität des Betons auch ein Naturspiel - ein Besiedlungs- und Jahreszeitenspiel auf diesen Flächen entsteht. Wir als Architekten bieten der Natur hiermit sogar ein Spielfeld. Es entsteht dabei auch die Frage inwieweit man als Autor zurücktritt und dieses Spiel auf der Oberfläche natürlich kuratieren lässt.

Dieses denkmalwerte Gebäude wurde als besonders autark konzipiert; die Betonhülle als fast unantastbar. Dieser Forschungsansatz müsste eigentlich Teil einer größeren symbolhaften Transformation dieses Gebäudes werden; Teil einer größeren narrativen Wende durch diese Bioaktivierung und Mikrobegrünung.

Heimbach: Das ist gerade das Schöne an dem Gebäude, dass die Fassade wasserführend ist und damit immer einer Veränderung unterworfen sein wird. Es wird sich nie so erhalten oder zurückversetzt werden können, wie es gerade fertig gebaut aussah. Beim Reinigen der Flächen mit Sandstrahler oder Kärcher, dort wo sich Grün angesiedelt hat, würde man die äußeren Poren des Betons öffnen und damit würde die Karbonatisierung weiter zur Bewehrung fortschreiten und die Fassade zerstören. Damit würde man das Denkmal gefährden. Deshalb erklären wir dieses Gebäude als ideal für diese Forschung. Es geht um die Frage der Fortschreibung eines Denkmals. Im Moment werden Zeitpunkte „eingefroren“; konserviert in der Denkmalpflege. Man wird die Fassade nie in den Zustand von 1974 zurückversetzen können. Man muss es Fortschreiben, sonst ist es weg.

Wurm: Die Forschungshypothese ist, dass sich die Fassade für den Anwuchs von einen Biofilm eignet, der zum einen zu der Biodiversität beiträgt; zur Verbesserung des Stadtklimas, aber auf der anderen Seite auch zum Erhalt des Gebäudes selbst beiträgt. Der Biofilm würde stadt-ökologische und denkmalpflegerische Themen und Bedürfnisse verbinden. Diese Schicht würde sich bei entsprechender Veränderung der Umweltbedingungen wieder zurückbilden. Die Bausubstanz könnte im Sinne der traditionellen Denkmalpflege also auch wieder freigelegt werden.

Das heißt eben auch, dass man die Wechselbeziehung zwischen Betontechnologie und Ökologie, also die grünere Zukunft, als Potenzial erforschen kann. Die Wandelbarkeit des Betons als Material ist noch gar nicht von der Gesellschaft erfasst wurden obwohl die Betonproduktion 7% der CO2 Emissionen ausmacht.

Heimbach: Wenn man Betongebäude saniert, greift man ja normalerweise genau zu der Gegenstrategie, dass man die Betonoberflächen hydrophobiert, und wie das Wort schon sagt, eine wasserabweisende Schicht liefert. Damit ist allerdings stadtklimatisch überhaupt nichts gewonnen. Die Betonoberflächen haben ja auch eine stadtklimatische Wirkung und tragen zum Wärmeinseleffekt bei. Daraus entstand die Forschungsidee, dass man statt eines hydrophobierenden Films auch einen Biofilm auftragen könnte, der nicht nur das Gebäude schützt und dauerhaft erhält, sondern auch einen Beitrag zur Kühlung liefern kann.

Wurm: Die Diskussion zur CO2-Neutralität ist vor allem eine Frage der Ertüchtigung des Bestands. Der Baubestand und insbesondere Betonbauwerke haben bereits eine hohe Menge an CO2-Emissionen während der Bauphase verursacht (embodied carbon oder grauer Kohlenstoff). Es geht aber bei der Ertüchtigung darum, das Gebäude nicht nur als Artefakt zu erhalten, im Sinne eines Denkmalschutzes, sondern die Wertigkeit und Bedeutung des Gebäudes zu erhalten und im Kontext der ökologischen Fragestellungen unserer Zeit zu verstärken. Die wachsende Urbanisierung und zunehmende Dichte, das sich verändernde städtische Mikroklima durch schrumpfende Grünanteile und reduzierte Wasserspeicherung und -versickerung -  all das sind Themen, die in unserem Forschungsansatz mit der ökologischen Aktivierung von Betonflächen zusammengebracht werden. Es geht darum, die gebaute und lebende Umwelt stärker ineinander zu verweben.

Dieser Ansatz bedeutet auch die Chance eines Sinneswandels an der Konstruktion; an dem Material: kann Beton als Material mit ökologischen Zielen verbunden werden?

Als Teil der Untersuchungen mit den Studierenden in KU Leuven gab es auch eine Art von Reimaginieren des Gebäudes, als Teil eines urbanen Metabolismus, als regeneratives Ökosystem. Sieht die nächste Generation diesen Wandel viel selbstverständlicher? Wie beeinflussen ihre Erkenntnisse eure Forschung an diesem Sinneswandel?

Wurm: Die Grundausrichtung des Entwurfsstudios an der KU Leuven betrachtet ein bestehendes Gebäude in Wechselwirkung mit dem natürlichen Ökosystem. Ziel ist es, die Verbindungen und den Austausch zu stärken. In allen Entwürfen steht damit eher der Prozess und die zeitliche Dimension der Veränderung im Vordergrund, als ein starrer, endgültiger Zustand. Es ist ein Prozess der Aneignung; der Ansiedlung; der Öffnung des Gebäudes, mit dem Ziel, andere Lebensformen einzubinden - von Mikroorganismen über höhere Pflanzen bis hin zu Insekten und Vögeln. Das bedeutet das Gebäude als Ökosystem zu begreifen, in dem Strukturen sich evolutionär entwickeln, aufeinander aufbauen und reagieren. Daher braucht es Kollaborationen mit Ökologen, mit Biologen, mit Mikrobiologen, um die gebaute und lebende Umwelt bei Planung und Entwurf in direktem Bezug zu setzen. As meine Sicht ist dies ein sehr spannendes neues Betätigungsfeld für Architekten.

Heimbach: Wir führen auch bei den Architekturstudierenden eine neue Zeitschicht im Denken ein. Dieser interdisziplinäre, kuratorische Eingriff den wir propagieren; diese Biotransformation bindet eine sehr viel größere Zeitdimension und Toleranz gegenüber dem Unstetigen und Unvorhersehbaren mit ein, als das für die Architektur üblich ist. Eher die Zeit- und Veränderungsdimension, die im Garten- und Landschaftsbau üblich ist.

Wurm: Die Klimaveränderung ist ein Prozess, der sich jetzt gerade vollzieht und die unmittelbar Auswirkungen hat auf unsere gebaute und natürliche Umwelt. Es geht darum, diese in der Planung zu berücksichtigen und Strukturen zu entwickeln, die sich mit dem Klimawandel anpassen und verändern können und für Menschen, Pflanzen und Tiere geeignete Mikroklimata schaffen.

Kommen wir zurück auf die grundlegenden Konstruktionsprinzipien von Sichtbeton als Baumaterial. Ist es überhaupt vorstellbar, dass man dieses Material zu einer Art symbiotischen Konstruktionsweise transformieren kann?

Wurm: Bei der Betrachtung dieser Bestandsarchitekturen aus Beton stehen für mich die biorezeptiven Eigenschaften des Materials im Vordergrund: neben dem PH-Wert sind dies vor allem seine Rauheit und Porosität der Betonoberfläche, die ausschlaggebend für die Wasserspeicherfähigkeit der Oberfläche sind. Neben den Eigenschaften der Materialoberflächen spielt die Geometrie, die Orientierung und Neigung der Gebäudeoberfläche eine wichtige Rolle. Bei dem Mäusebunker sind die Außenwände schräg gestellt. Sie werden von Wasser überströmt und bilden eine gute Grundlage für die Anreicherung von Nährstoffen. Ein Teil unseres Forschungsansatzes ist eine Kartographierung durchzuführen, um besser zu verstehen, welche Gebäudeteile, welche Orientierung, welche Materialeigenschaften sich für welche Art der Ansiedelung eignen.

Wir wollen verstehen, welche von diesen Effekten für die Substanz schädlich sind und welche eine positive Auswirkung auf die Gebäudesubstanz haben, um dann entsprechende planerische Maßnahmen abzuleiten. Das Ziel ist es, natürliche Prozesse so zu leiten, dass sie nicht zu einer Schwächung der strukturellen Eigenschaften führen, sondern gleichzeitig zur Stärkung der ökologischen Qualität und zum Schutz der Substanz beitragen.

Wie sehr eignet sich dieses Gebäude aus eurer Sicht – als sehr hermetischer Bestand - für die Kultivierung im Inneren? Dieser Aspekt der urbanen Nahrungsproduktion im Mäusebunker wurde bei den Werkstätten des Modellverfahrens als Potential diskutiert.

Heimbach: Ich kann mir eigentlich kaum ein geeigneteres Gebäude als den Mäusebunker vorstellen, denn es ist genau der Ansatz dieser gesamten Baustruktur gewesen, nämlich das, was im Inneren stattfindet, möglichst von äußeren biologischen Einflüssen fernzuhalten. Pflanzen, die im Inneren wachsen, würden vor dem Pflanzen zerstörenden Teil der Natur geschützt werden und es müssten keine Pestizide eingesetzt werden: das wäre ein schönes Narrativ, dass diese Hülle die Pflanzen, die zur besonders gesunden Ernährung hergestellt werden, schützt.

Wurm: Normalerweise haben wir immer diesen Dualismus: innen/außen, Mikro-/Makroklima. Es ist spannend diesen Dualismus zu hinterfragen und zu schauen, was für Zwischenklima möglich sind - das Mezzoklima, welches sich zwischen dem pendelnden Außenklima und dem kontrollierten Innenklima bewegt. Wo ein Raum entsteht der sich sowohl dem Menschen und ihren Bedürfnissen öffnet als auch andere Lebensformen mit einbezieht. Wenn wir wirklich das Grün einbringen wollen, z. B. für die bioklimatische Verbesserung des Innenraums, dann müssen wir uns wegbewegen von der Vorstellung, dass das Klima im Innenraum vollkommen kontrolliert ist und unserer konstanten Komforttemperatur entspricht, unabhängig von dem sich verändernden Aussenklima. Das ist ein umfassender Paradigmenwechsel.

Bestimmte Nutzungen sind aber durchaus geeignet für eine Art von hybrides Klima: Pufferzonen, soziale Erschießungsbereiche. Vielleicht können wir uns auf diese Weise langsam von außen nach innen vortasten.

Ludwig, du hast bei der letzten Werkstatt über die Lichtverhältnisse referiert, so dass es eine Wahrnehmungsverschiebung gab bezüglich der lichtarmen Innenräume. Wie kann man bei der Transformation des Bestands in unserer Vorstellung eben dieses mangelnde Tageslicht im Mäusebunkers auch zu einem Vorteil umwandeln?

Heimbach: Es stellt sich doch generell die Frage, ob angesichts der Prognose, dass bereits 2050 in Berlin in etwa klimatische Verhältnisse, wie heute in Canberra herrschen werden, noch die aus hygienischen Vorstellungen entwickelte Idee der Moderne, dass „Licht, Luft und Sonne“ und ein möglichst großer Außenbezug die einzig glücklich machende Grundlage für eine hohe Innenraumqualität sind. Ich denke, wir sollten uns lieber nach anderen Idealen und Ästhetiken umschauen. De facto ist es in Zeiten des Klimawandels wichtiger, solare Einträge in Gebäude möglichst zu minimieren und nur punktuell den Außenbezug zuzulassen und diesen beispielsweise entsprechend zu inszenieren.

Es gibt auch eine Herangehensweise an starke und gute Innenräume aus der Sichtweise der Bühne: Ein Bühnenbildner geht bezüglich des Lichts von der umgedrehten Konzeption eines Raums aus, wie ein Architekt. Im Schwarzen Raum hat er die volle Kontrolle der Lichtsetzung und -führung. Man kann auch das Positive daran sehen, dass diese wenig belichtete Grundvoraussetzung des Gebäudes starke Innenräume schaffen kann, die eine besonders immersive Qualität bekommen können.

Jeder Paradigmenwechsel braucht sein entsprechendes Narrativ. Welches Narrativ braucht es eurer Meinung nach für den Mäusebunker für eine umfassende Bestandsumnutzung und Neudeutung?

Wurm: An der KU Leuven ist die Forschung und die Ausbildung von dem Narrativ des regenerativen Designs geleitet. In der jetzigen Diskussion zur Nachhaltigkeit fokussieren wir uns darauf, die Umweltauswirkungen zu reduzieren, weniger Materialen zu verbrauchen, weniger Müll zu produzieren. Aber als Gestalter wollen wir einen positiven Beitrag leisten zu dem zukünftigen Leben auf dem Planeten, und das ist nur möglich, wenn die gebauten Strukturen selber auch einen positiven, messbaren Beitrag zu der Verbesserung von Luft-, Wasser-, Bodenqualität und Biodiversität leisten. Zur Zeit sind wir sehr auf die Dekarbonisierung fokussiert. Wie Gebäude einen Anteil für Erhalt und Stärkung der Biodiversität leisten, ist das nächste große Thema für Architekten und Planer.

Heimbach: Ich finde auch andere Narrative an dem Gebäude ziemlich interessant. Bisher war der Mäusebunker ein psycho-sozialer Verdrängungsraum, ein Paradebeispiel dessen, was Foucault Heterotopie genannt hat. Es sind die Räume, wo die Gesellschaft die Dinge mit hohen Zugangsbeschränkungen versteckt, die sie aus ihrem Bewusstsein verdrängt. Schön wäre, wenn dieser ehemalige Verdrängungs-Raum wieder zum fahrenden Schiff werden würde. Es gibt auch hier ein durchaus positives Narrativ: medizinisch sind durch die Forschung im Mäusebunker große Fortschritte gemacht worden, die durchwegs positiv besetzt sind zum Beispiel beim „Berliner Kunstherz“, oder der Lebertransplantation bei Kindern. Hier kann man sich nun die Frage stellen – was wollen wir eigentlich für Räume erzeugen für unsere Gesellschaft und welcher Verdrängungs-Räume bedarf es?

Wurm: Unser Ansatz ist, jetzt den Mäusebunker eigentlich als Piloten zu nutzen. Wir können die Oberfläche kartografieren und feststellen, wie die Oberflächenrauheit ist, die Tiefe der Durchfeuchtung und daraus auch ableiten, welche von diesen Effekten für die Substanz schädlich sind, welche haben eine positive Auswirkung auf Substanz und Gebäude, um dann Maßnahmen abzuleiten, gewissen Bewuchs zu stärken, zu fördern und anderen zu reduzieren. Das braucht technische Untersuchungen der Oberflächen. Daraus kann man eine Gestaltungs-Toolbox abzuleiten, mit der man dann bewusst dieses Gebäude überformen kann, um diese natürlichen Prozesse so zu leiten, dass sie eben nicht zu einer, zu einer Schwächung der strukturellen Kapazität führen, sondern zur Stärkung der ökologischen Qualität und vielleicht auch zur Stützung der Substanz. Und das lässt sich am Gebäude sehr schön prototypenhaft darstellen.